Seit einigen Wochen fand ein Treffen für eine autonome Mobilisierung zum Ersten Mai in Freiburg statt. Wir werden uns allerdings nicht an dieser Mobilisierung beteiligen und begründen dies in einem Positionspapier.

Den Text wollen wir hier dokumentieren:

Positionspapier der ALFR – Antifaschistische Linke Freiburg
zum Szenetreffen zur Wiederbelebung des rev. 1.Mai 2013 
in Freiburg.

Wir haben uns entschieden, dieses Jahr am 1. Mai in Freiburg auf die Straße zu gehen, in Erwägung, dass wir als Kommunistinnen und Kommunisten in der Tradition der internationalen Arbeiterbewegung den 1. Mai als den Kampftag der Linken schlechthin betrachten.

Dass es zudem bis dato keine faschistische Mobilisierung in der näheren Umgebung gibt macht uns dieses Jahr die Entscheidung leichter, das durchzuziehen, was wir politisch ohnehin meistens als richtig erachten: an unserem Tag nicht den Faschisten hinterherzufahren, sondern als revolutionäre Linke in unserer Stadt auf die Straße zu gehen. Nun ist die Frage der Form von Belang. Mögliche Optionen wären eine als „revolutionär“ betitelte eigene bzw. Bündnisdemonstration zu organisieren, sich an der vom DGB angemeldeten 1.Mai-Demonstration zu beteiligen oder beides.

Wir haben uns nach einigem hin und her gegen die Beteiligung an einer eigenen „revolutionären“ 1.Mai-Demonstration in welcher Form auch immer entschieden.

Klassenkampf statt Szenespektakel!

Eine revolutionäre 1. Mai-Demo erachten wir nur als Ergänzung der gewerkschaftlichen Demo als sinnvoll. Sie kann eine Beteiligung an letzterer nicht ersetzen, nur ergänzen, in Anbetracht, dass nur die Klasse, niemals eine Szene überhaupt in der Lage wäre, eine Revolution zu begehen. Eine revolutionäre 1.Mai-Demo muss eine grundlegend klassenkämpferische Ausrichtung haben! Und da sind wir skeptisch.

Analyse statt Habitus!

Zum Revolutionären macht einen nur Analyse und Praxis, nicht der Habitus oder etwa eine diffuse Unkonformität. Die revolutionäre Linke in dieser Stadt ist unserer Auffassung derzeit zu schwach, als dass uns eine eigene Demonstration sinnvoll erscheint.

Inhaltlicher Konsens statt Beliebigigkeit!

Die Durchführung einer revolutionären Mai-Demonstration würden wir lediglich auf Basis einer Klarheit bezüglich grundlegender weltanschaulicher Fragen der sie tragenden Kräfte forcieren. Damit meinen wir nicht etwa Klarheit in Bezug auf prokommunistische Ausrichtung oder Ähnliches – im Gegenteil: Eine gemeinsame Aktion von Anarchisten und Kommunisten würden wir begrüßen! Es geht uns darum, dass zumindest Grundlagen der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft (Klassenanalyse, Der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit als der Kernkonflikt der kapitalistischen Gesellschaft, Notwendigkeit des Klassenkampfs, Nichtreformierbarkeit des Kapitalismus etc.) von den eine revolutionäre 1. Mai-Demo tragenden Kräften geteilt werden. Und das sollte über die bloße Floskel- und Phrasenhaftigkeit solcher Begriffe hinausgehen.

Wider einem radikalistischen Abgrenzungsbedürfnis – Klasse statt Szene!

Inhaltliche Klarheit und nicht die Zurschaustellung eines pseudoautonomen Habitus müssten also im Mittelpunkt der Außendarstellung stehen. Das sehen wir momentan in dieser Stadt bei den an einer eigenen „revolutionären“ 1. Mai-Demo interessierten Kräften nicht gegeben. Das Interesse an einer eigenständigen „revolutionären“ 1. Mai-Demo scheint uns nicht das Ergebnis eines Diskussionsprozesses verschiedener Strömungen der revolutionären Linken, sondern eher einem vagen und inhaltlich nicht näher ausformuliertem Abgrenzungsbedürfnis zum DGB oder Ähnlichem zu entspringen! Das machen wir schon an der vorherrschenden Verwendung von Vokabeln in der Szene fest. So ähneln im Selbstverständnis gerade der Freiburger Szene ein Wort wie „revolutionär“ oder „linksradikal“ eher einer weitgehend inhaltslosen Selbstbeschreibung und bezieht sich auf eine gefühlte Szenezusammengehörigkeit, die sich im besten Fall auf gemeinsame Aktionsformen auf Demonstrationen, im schlimmsten Fall aber am bevorzugten Kleidungsstil, gemeinsamen musikalischen Vorlieben oder veganer Ernährung festmacht. In diesem Sinn wird auch das Wort „bürgerlich“ nicht nur im sich als „linksradikal“ begreifenden Szenekosmos Freiburgs permanent verwendet für ein Spektrum, dass andere Aktionsformen bevorzugt oder andere Musik hört, anders gekleidet ist oder sich nicht vegan ernährt. Das ist nicht nur identitär, sondern auch analytisch lächerlich!

Ein Begriff wie „bürgerlich“ dient der Bestimmung des Klassenstandorts und des Klassenstandpunktes, und nichts anderem. Insofern wäre sogar anzunehmen, dass das Publikum einer Gewerkschaftsdemonstration weit weniger bürgerlich ist als das auf vielen Demonstrationen selbst ernannter Linksradikaler. Auf Basis solcher „analytischer“ Plattheiten sehen wir die Durchführung einer eigenen Mai-Demonstration nicht als sinnvoll an!

Eine „revolutionäre“ 1. Mai-Demonstration, die also den primären Sinn hat, alles auf der Straße zu versammeln, was sich für „linksradikal“ hält, um so die ideologische Vorstellung einer Szene aufrechtzuerhalten, die gar nicht existiert, sondern nur der Zurschaustellung verschiedener Akteure dienen soll, wollen wir nicht unterstützen. Es gilt in Klassen, nicht in Szenen zu denken!

Nur und ausschließlich auf einer solchen Basis halten wir die Durchführung gerade einer 1.Mai-Demonstration mit revolutionärem Anspruch für gerechtfertigt. Besonders evident wird der seltsame Charakter der Szenehaftigkeit, wenn wir betrachten, welch gegensätzliche und nicht miteinander zu vereinbarende Positionen die Szene unter einen Hut zu bringen versucht – etwa sogenannte Antideutsche, die US-amerikanische Angriffskriege propagieren, und Antiimperialisten, welche diese verurteilen; oder Menschenrechtlern auf der einen Seite und Andere, die ein Wort wie „Speziezismus“ erfunden haben und ernsthaft die Auffassung verbreiten der Unterschied zwischen Mensch und Tier sei sozial konstruiert. Aus einem Bündnis in dem Positionen verbunden werden sollen, welche gegensätzlicher und teilweise schädlicher nicht sein könnten resultiert notwendigerweise der Wegfalls jeglichen politischen Ausdrucks. Wir halten es für unmöglich eine relevante und ausdrucksstarke eigenständige 1. Mai Demonstration in Freiburg durchzuführen. Unserer Einschätzung nach wird die Demonstration aus diesem Kreis heraus nicht über das bloße „Szene abfeiern“ hinausgehen und bedeutungsloser nicht sein können. Zu sehr wird versucht ein möglichst breites Bündnis verschiedenster Klein- und Kleinstgruppen unter einen Hut zu bekommen, in völliger Ignoranz der Tatsache dass sich bestimmte Positionen ausschließen und unvereinbar nebeneinanderstehen!

Nachdem wir nun ein paar Allgemeinplätzen darlegten, warum wir uns dieser Szenedemonstration nicht anschließen wollen, nun ein paar Worte zu dem was wir machen werden und warum.

Für mehr als nur dagegen!

Wir werden einen antikapitalistischen Block auf der 1.Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bundes (DGB) initiieren. Da wir aus den genannten Gründen die Zeit für eine eigenständige „revolutionäre“ 1. Mai-Demo in Freiburg für nicht reif halten, bleibt für uns nur die Option einer Beteiligung an der vom DGB angemeldeten Demonstration. Ein bloßes Einreihen hinter den DGB und ein sich Unterstellen unter dessen zentrales reformistischen Motto kann für uns allerdings keine Option sein. Im Gegenteil, durch unsere Teilnahme an der Demonstration wollen wir unsere Positionen deutlich in die Demonstration hineintragen und unsere eigenen Standpunkte klar machen. Selbstverständlich gehen wir weiter als das Motto des DGB ab, welches wie jedes Jahr wieder einmal so schwammig und peinlich geworden ist dass es eigentlich noch nicht einmal mehr reformistisch genannt werden sollte. In aller Deutlichkeit halten wir fest, dass das Motto des DGB für dieses Jahr, „Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa.“ nicht unser Motto ist noch sein kann. Dennoch wollen wir durch unsere Teilnahme, am Besten mit allen klassenkämpferischen, antikapitalistischen Linken der Stadt, einen strömungsübergreifenden gemeinsamen Ausdruck innerhalb der DGB-Demo bilden und so unsere Forderungen kämpferisch nach Außen tragen.

Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft – Internationale Solidarität statt Standortnationalismus!

Inhaltlich muss dies eine klare Kritik am Kurs der Gewerkschaftsführungen in der Wirtschaftskrise und aktuell in dem Zusammenhang einen klaren Aufruf zur Solidarität mit den gegen die Privatisierung und den Ausverkauf ihres Staatseigentums an das Kapital kämpfenden Griechen beinhalten. Es kann nicht sein, dass der DGB die autoritären Krisenlösungen des deutschen Kapitals in der EU fast unwidersprochen hin nimmt. Wenn die Vorstellung eines „Sozialen Europas“ des DGB das Hinnehmen von Kürzungen und Privatisierungen an allen Ecken und Enden bedeuten soll, dann kann und muss hier ein Ansatzpunkt sein.

Wir schnuppern nicht an jeder Mülltonne!

Wir stehen sowohl für eine scharfe Kritik an den Führungen der DGB-Gewerkschaften, als auch für eine Kritik am „Maifest“ in Freiburg, wo allerlei Reaktionären eine Bühne geboten wird. Grüne Oberbürgermeister und Ministerpräsidenten gehören zur anderen Seite und haben bei uns nichts verloren. Wer allerdings die Abgrenzung vom DGB braucht, um sich der eigenen Radikalität zu versichern, der macht ganz gewiss mehr falsch als richtig.

Raus aus der Marginalität!

In Anbetracht der Heterogenität der DGB-Gewerkschaften halten wir einen radikalistischen Rundumschlag gegen „den DGB“ für fehl am Platz. Gerade anlässlich der allgegenwärtigen Defensive unserer Seite in den Klassenauseinandersetzungen kann eine Fundamentalkritik am DGB, wie sie etwa von der FAU kommt, aktuell nur reaktionär sein, die im besten Fall gut gemeint ist.

Wer in der derzeitigen Situation der vorherrschenden Schwäche und Defensive der Linken – und zwar aller – auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen tatsächlich meint, mit einer radikalen und revolutionären Phraseologie gegen Betriebsräte und Flächentarifverträge polemisieren zu müssen, der zeigt nicht nur, dass er wenig Ahnung von der Arbeiterklasse als solcher und konkreter Gewerkschaftsarbeit hat, sondern ist tatsächlich objektiv ein Reaktionär. Darüber hinaus wäre eine Anerkennung der Tariffähigkeit der FAU auch ein Einfallstor für die sehr viel stärkeren und relevanteren gelben „Gewerkschaften“, die von den Unternehmern bezahlt werden und die – ein Glück – nicht als tariffähig gelten.

Which side are you on?

Bei aller Kritik am Reformismus – für die kämpferischen Betriebsräte sähe es ohne die Existenz der Gewerkschaften schlecht aus. Wer etwa schon einmal seinen Job auf Grund der Initiierung eines Betriebsrats verloren hat und diesen nur durch den Gang vors Arbeitsgericht zurückbekommen hat – ermöglicht durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz – , weiß das und hat für das Gerede der FAU noch nicht einmal ein müdes Lächeln übrig. Niemand – und auch nicht wir – hat behauptet, es handle sich beim DGB um eine revolutionäre oder in seiner jetzigen Zusammensetzung auch nur potentiell revolutionäre Organisation. Tatsächlich ist er ein Stabilisator des Status Quo – geschenkt. Aber Revolutionäre sind dennoch in den Einzelgewerkschaften des DGB organisiert. Und das hat nicht nur den einfachen Grund, dass es für einen Menschen der Lohnarbeit verrichtet Vorteile hat Gewerkschaftsmitglied zu sein (Rechtsschutz etc.). Es macht schließlich nun einmal Sinn, sich mit seinen Kollegen zusammen zu schließen und gemeinsam für die Interessen der Arbeitenden einzutreten. In puncto Organisationsstärke kann es aktuell keine andere „Gewerkschaft“ oder K-Gruppe mit dem DGB aufnehmen. Für uns als Revolutionäre ist die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft selbstverständlich.

Eine denkbare Alternative wäre die Bildung einer revolutionären Gewerkschaftsopposition. Aus den genannten Gründen aber ist das im Moment für uns aufgrund der Marginalität der radikalen Linken keine.

Darüber hinaus halten wir das Straßenfest im Grün als basisdemokratische Initiative und als Versuch der Selbstverwaltung von unten für unterstützenswert und möchten einen Weg finden, dieses zu supporten.

Wer sich an den Vorbereitungen zum Block auf der DGB-Demo beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen, zu den öffentlichen Vorbereitungstreffen in das Linke Zentrum ¡adelante! zu kommen.

Wir würden uns über Reaktionen und eine inhaltliche Auseinandersetzung freuen. Und wer beleidigt ist, für den gibt es ja immer noch linksunten!

ALFR – Antifaschistische Linke Freiburg, Februar 2013