Wir wollen an dieser Stelle unseren am Samstag auf der Demonstration „Taksim ist überall! Solidarität heißt Widerstand!“ gehaltenen Redebeitrag dokumentieren:
Mit aller Härte versucht die türkische Regierung in diesen Tagen die Protestierenden mundtot zu machen und ihren Widerstand zu brechen. Mit nackter Gewalt antwortet der türkische Machtapparat damit auf jene, die ihn in Frage stellen – und die Frage nach einer grundsätzlich anderen Gesellschaft stellen.
Tränengas, Schlagstöcke, Angriffe auf Anwälte, Ärzte und Journalisten sind alle Teil der Repression, über die sich dieser Tage auch der Westen empört. Zwei Dinge werden dabei jedoch gerne unbeachtet gelassen:
Die Repression der türkischen Regierung ist weder neu noch überraschend. Systematisch führt die Türkei seit Jahrzehnten einen
Krieg gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land. Masseninhaftierungen von Mandatsträgern, Abgeordneten oder kritischen Journalisten sind seither an der Tagesordnung. Beispielhaft stehen hierfür die KCK- und KADEK- Verfahren. Über 6000 politische Gefangene sitzen in türkischen Knästen!
Und gerne schauen Europa und die USA hier weg oder helfen mit Waffenlieferungen aktiv mit. Die Türkei unter Erdoğan wird als Musterland dargestellt, solange mitverdient werden kann. Doch die jetzigen Demonstrationen können nicht mehr einfach verschwiegen oder kriminalisiert werden. Auch wenn Erdoğan nun versucht, die Bewegung mit allen Mitteln zu spalten, beispielsweise in „gläubige Vaterlandstreue“ und „ungläubige vom Ausland bezahlte Terroristen“. Doch mit der wachsenden Breite der Opposition ist längst bewusst geworden, dass es der kämpfenden Bevölkerung um mehr geht, als um den Protest gegen ein irgendein neues Einkaufszentrum, das im Gezi Park gebaut werden soll. Unüberwindbar geglaubte Gräben der türkischen Linken werden überwunden. Es ist ein Aufstand all derer, die für Selbstbestimmung eintreten. Es geht um die Rückeroberung öffentlichen Raums.
Und weltweit gleichen sich die Bilder von Platzbesetzungen, von Menschen die für ihre sozialen und politischen Rechte kämpfen. Das jüngste Beispiel ist Brasilien. Auch hier wird der Protest der Armen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Wasserwerfern und Schlagstöcken beantwortet. Immer häufiger werden militärische Mittel zur Aufstandsbekämpfung herangezogen. Die Bilanz dieser Staatsgewalt löst Wut aus. Die Zahlen der Verletzten gehen inzwischen in die Tausende und der Tod von Menschen wird immer weiter in Kauf genommen. In der BRD ist man zwar noch weit von Istanbuler Verhältnissen entfernt. Doch bereits jetzt trainiert die Bundeswehr Aufstandsbekämpfung des 21.Jahrhunderts anhand von Großstadtszenarien. Und noch nicht einmal vor drei Wochen haben wir in Frankfurt Szenen erlebt, die denen des Taksim-Platzes ähneln. Nur zu deutlich wurde in Frankfurt, mit welchen Mitteln der Staatsgewalt zu rechnen ist wenn hierzulande Menschen auf die Straße gehen und für ihre Bildung, Gesundheit, Wohnraum, und für eine solidarische Gesellschaft eintreten:
Neun Stunden lang kesselten Polizeikommandos über 900 Menschen ein und versuchte die Krisenproteste zu spalten. Der kraftvollste Ausdruck der Krisenproteste hierzulande, die Großdemonstration von Blockupy war schlichtweg nicht erwünscht. Entsprechend wurde sie angegriffen: Mehr als 200 Verletzte; und auch hier griff die Polizei Anwälte und Journalisten an. Doch auch hier wurde der Kampf um tatsächliche Demokratie nicht gebrochen, im Gegenteil: Auch hier hat er gerade erst begonnen. Wir rufen daher dazu auf, den Widerstand auf die Plätze und in die Straßen hierzulande zu tragen. Das muss unser Zeichen der Solidarität an die kämpfenden, emanzipatorischen Freundinnen und Freunde in der Türkei, in Brasilien, in Griechenland oder anderswo auf der Welt sein. Lassen wir uns in unserem Protest nicht spalten, denn „wir sind alle Marodeure“. Gemeinsam mit den Kräften der türkischen und der kurdischen Linken hierzulande machen wir ihren Kampf zu unserem.
Tragen wir diesen Kampf vom Taksim-Platz nach Frankfurt. Tragen wir den Kampf nach Freiburg.
Denn „Taksim ist überall und überall ist Widerstand”.