pätzoldvaAm 23.05.2013 veranstalteten wir einen Vortrag mit Prof. Dr. Kurt Pätzold an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Vor etwa 50 Besucherinnen und Besuchern sprach Pätzold über „Wahn und Kalkül – der Antisemitismus der deutschen Faschisten“. Untersützt wurden wir bei der Veranstaltung vom Rosa-Luxemburg-Club Freiburg. In dieser Veröffentlichung skizzieren wir den Inhalt des Vortrages und dokumentieren unser Einführungsreferat.

Vortrag Kurt Pätzold | Einführungsreferat | Audiomitschnitt

Kurt Pätzold, Prof. Dr. phil., geboren 1930, lehrte bis 1992 als Professor für Deutsche Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist ein international renommierter Historiker und Faschismusforscher, der 1973 mit der Arbeit „Antisemitismus und Judenverfolgung (Januar 1933 bis August 1935). Eine Studie zur
politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus“ habilitierte und zahlreiche Veröffentlichungen in den Gebieten Faschismus, Antisemitismus, Judenverfolgung und geschichtsrevisionismus vorweisen kann. Erst 2012 erschien im PapyRossa Verlag sein neustes Werk: „Wahn und Kalkül — Der Antisemitismus mit dem Hakenkreuz“.

 


Vortrag Prof. Dr. Kurt Pätzold

Der Ausgangspunkt für Kurt Pätzolds Beschäftigung mit dem Massenmord an den europäischen Juden setzten zwei ihn überraschende Entdeckungen zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn, die er im Rahmen von Recherchen für einen Band des Hochschullehrbuchs „Deutsche Geschichte“, das die Judenpolitik des deutschen Faschismus thematisierte und den er mitzuverfassen hatte, machte: Zum einen war die Rolle des Antisemitismus in der Etablierungsphase der Nazi-Diktatur wohl größer als zu diesem Zeitpunkt angenommen. Zum anderen war den Akten des Reichspräsidenten Hindenburg zu entnehmen, dass viele vom Antisemitismus Betroffene nicht verstanden was passierte und sich anbahnte.

Zwei Legenden

Es gibt, so Kurt Pätzold, kein Gebiet, das so gründlich erforscht wurde, wie der Massenmord an den europäischen Juden. Nach 1990 konnte die Topografie des Massenmords und damit einhergehend eine Chronologie der Ereignisse vervollständigt werden.

Dadurch ließen sich zwei existierende Legenden widerlegen. Der Massenmord war keine Antwort auf das Debakel des Ostfeldzuges, da er keinen Ersatz für einen Sieg im Eroberungskrieg sein konnte. Bereits am 24. Juni 1941, und damit zu einem Zeitpunkt an dem kein Zweifel der NS-Führung am „Endsieg“ herrschte, begann das Massenmorden. Eine Polizeieinheit aus einem preußischen Grenzgebiet erschoss 101 jüdische Personen. Dabei handelte es sich nicht um spezialisierte SS-Einheiten oder um besonders geschulte oder ideologisch gefestigte Einheiten, sondern um „ganz normale Männer“. Dieser Fall wurde im Rahmen der sogenannten Ulmer Einsatzgruppenprozesse besonders gut dokumentiert.

Eine weitere Legende, die widerlegt werden konnte, war die These der Vorrangigkeit des Massenmords vor Kriegszielen. Begründet wurde diese These damit, dass Transportraum der Wehrmacht zugunsten des Transports von Juden zu ihren Mördern entzogen wurde. Diese Annahme stellte sich jedoch als falsch heraus, da dokumentiert ist, dass Heinrich Himmler förmlich den stellvertretenden Reichsverkehrsminister darum gebeten hat er möge doch gelegentlich einen Zug zwischen den Nachschublieferungen für den Ostfeldzug einschieben, um den Transport aus den Warschauer Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka durchführen zu können. Ein Teil der Strecke zwischen Warschau und Treblinka führte über eine Hauptnachschubroute für den Ostfeldzug.

Eine Frage des Wahns und der Kalküle

Das Buch „Wahn und Kalkül — Der Antisemitismus mit dem Hakenkreuz“ beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage des Wahns und der Kalküle und damit um die Frage: Was waren die Antriebe und Motive der Judenmörder, die aktiv die Umsetzung und Planung von der Idee bis zur Ausführung vorantrieben.

Auf diese Frage finden sich nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Betrachtung des Gegenstandes in der Literatur drei Antworten.

1. Die Antwort auf die Frage nach den Antrieben und Motiven ist im Irrationalen zu verorten. Die daraus folgende Konsequenz ist, dass wir nicht wissen und nicht verstehen können, was die Antriebe und Motive waren.

2. Die Antwort ist bereits gefunden in Form des faschistischen Rassenwahns in seiner speziell antisemitischen Ausprägung. Es war damit die Ideologie oder auch der rassistische Glaube, der als Antrieb für die Planer von der Anordnung bis zur Durchsetzung des Massenmords an den europäischen Juden diente. Die faschistische Ideologie spielte in diesem Prozess für die, die die Idee entwickelten und in letzter Konsequenz ausführten, sicher eine entscheidende Rolle.

3. Sowohl der Wahn als auch Kalküle dienten als Motivation und Antrieb der Judenmörder. Der Antisemitismus war für die Nazis ein Werbemittel unter verschiedenen Anderen. Nachdem die Faschisten an der Macht waren, diente der Antisemitismus weiterhin als Instrument auf verschiedenste Weisen, unter anderem zur Korruption. Außerdem gab es viele Profiteure antijüdischer Maßnahmen. Der Streitpunkt um die Frage, ob auch Kalküle entscheidend waren liegt am Übergang von der Vertreibung zur Vernichtung der europäischen Juden. Doch auch von diesem Zeitpunkt an handelte es sich nicht um ein alleinig vom Wahn geleiteten Massenmord, sondern weiterhin sind auch Kalküle erkennbar. Der faschistische Imperialismus hatte sich überfressen und die riesigen Land- und Menschenmassen der besetzten Gebiete waren in der Masse nicht zu gebrauchen. Vor diesem Hintergrund wurden die Juden, die in den faschistischen Rassetheorien ganz unten angesiedelt waren, die erste Großgruppe in den Kalkülen der faschistischen Machthaber im Rahmen einer präventiven Strategie zur Partisanebekämpfung. Auch bis zum Ende, als die faschistische Führung das Deutsche Reich für judenfrei erklärte, sind Kalküle zu erkennen. Als dringend Arbeitskräfte benötigt wurden, brachten die Faschisten jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zurück auf das Gebiet des Deutschen Reichs.

 


Antifaschistische Linke Freiburg: Einführungsreferat für den Vortrag
von Prof. Dr. Kurt Pätzold an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 23.05.2013

„Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der Veranstalter – der Antifaschistischen Linken Freiburg sowie dem Rosa Luxemburg Klub-Freiburg – möchte ich an dieser Stelle herzlich Kurt Pätzold an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg begrüßen, den und dessen Forschungen ich an dieser Stelle kurz vorstellen will.

Akademischer Werdegang

Kurt Pätzold studierte Geschichte, Philosophie und politische Ökonomie in Jena. Er wurde 1963 an der Universität Jena mit der Arbeit „Der Zeiss-Konzern in der Weltwirtschaftskrise“ zum Dr. phil. promoviert. Pätzold fand bald zu seinen Forschungssschwerpunkten – der Geschichte des deutschen Faschismus sowie der Judenverfolgung – , was sich bereits in seiner Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin niederschlug. Hier wurde er später Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Geschichte. Der Titel von Pätzolds Habilitation lautete „Antisemitismus und Judenverfolgung (Januar 1933 bis August 1935). Eine Studie zur politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus“. In dieser Linie stehen auch weitere Arbeiten, u.a. die von ihm herausgegebene Dokumentation „Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933 bis 1942“ oder der gemeinsam mit Irene Runge entstandene Band „Pogromnacht 1938“. Diese Forschungen waren bahnbrechend nicht nur in der DDR. Auch auf das andere Deutschland bezogen gehörte Pätzold zu den Ersten, die sich der systematischen Erforschung des größten Menschheitsverbrechens – dem organisierten Massenmord an den europäischen Juden – widmeten. Das ist bemerkenswert. Denn in den historiographiegeschichtlichen Überblickswerken und in den Universitäten der Bundesrepublik wird heutzutage gelehrt, die marxistische Geschichtswissenschaft allgemein und jene der DDR im besonderen hätte sich für die Verfolgung der Juden im Rahmen ihrer, wie es heißt, verkürzten „ökonomistischen“ Deutung des „Nationalsozialismus“, nicht interessiert. Die schlichte Existenz der Forschungen Pätzolds, als auch ihre internationale Rezeption in den 1980-er Jahren weißen derlei Behauptungen in das Reich der Legenden. Die sich in solchen Vorwürfen kenntlich zeigende Ignoranz lässt auf Verschiedenes schließen. Etwa das erbärmliche analytische Niveau, auf dem die vorherrschende deutsche Geschichtswissenschaft mittlerweile angekommen scheint, zumindest in der Auseinandersetzung mit marxistischen Kollegen und ihren Positionen, deren Arbeiten, wenn sie nicht gekonnt ignoriert, offenbar einfach nicht verstanden werden. Doch haben die deutschen Geschichtsprofessoren nur ihre Hausaufgaben nicht gemacht, wenn sie derlei Unfug reden? Zumindest den älteren Kollegen dürfte der Name Pätzold sicher noch ein Begriff sein, und sei es von gemeinsamen Tagungen vergangener Tage. Eher ist anzunehmen, dass es sich dabei um systematische Versuche handelt, marxistische Positionen von vorneherein in ein Abseits zu manövrieren.

Das Jahr 1990 markierte zweifelsohne einen tiefen Einschnitt in die deutsche Geschichte. Dieser schlug sich auch im Bereich der Wissenschaft der abzuwickelnden DDR nieder. Zahlreiche Historiker verloren ihre Arbeitsstellen. Ganze Institute wurden geschlossen, Lehrstuhlinhaber einfach ausgetauscht.
Was vor sich ging, war die vollständige Abwicklung der geschichtswissenschaftlichen Institutionen der DDR. So sah Artikel 38 des Ende August 1990 unterzeichneten Einigungsvertrags die „Einpassung von Wissenschaft und Forschung (der DDR) in die gemeinsame Forschungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ vor. „Im Zweifel lieber abwickeln“, hatte etwa der Münchner Althistoriker Christian Meier gefordert. Ostdeutsche Historiker, die dem bundesdeutschen Historikerverband beitreten wollten, wurden einer individuellen Überprüfung unterzogen. Solchen Historikern, die mit dem „SED-Regime“ zusammengearbeitet hatten, wurde nahe gelegt, auf eine Aufnahme aus freien Stücken zu verzichten.
Betroffen von diesen Prozessen war freilich auch die symbolträchtige und namhafte Berliner Humboldt-Universität. Der Berliner Senat hatte die vollständige Abwicklung des Fachbereichs Geschichte vorgesehen und dazu eine eigene „Struktur- und Berufungskommission“ ins Leben gerufen, die Vorschläge zur Neubesetzung des Fachbereichs erarbeiten sollte. Die Kommission unter Leitung des Münchner Historikers Gerhard A. Ritter erreichte vom Berliner Senat die Neuausschreibung von 20 Professuren, die dann fast ausschließlich an Westdeutsche gingen. Als neuer Institutsdirektor wurde 1991 Heinrich August Winkler berufen, der dafür seinen Lehrstuhl an dieser Universität freimachte, den 1995 Ulrich Herbert übernehmen sollte.
Im Fall der Humboldt-Universität zog sich die Abwicklung noch zwei Jahre hin, denn die alte Universitätsleitung hatte unmittelbar nach Bekanntgabe des Abwicklungsbeschlusses eine verwaltungsrechtliche Klage eingereicht, der in zweiter Instanz stattgegeben wurde. Auf dieser Grundlage existierte der alte Lehrkörper noch eine Weile neben dem neuen weiter: Und so verteidigte Pätzold noch bis in die zweite Jahreshälfte ´92 hinein seinen Platz, bevor auch er gehen musste und die alte „Sektion Geschichte“ ihr definitives Ende fand.
Sieger der Geschichte kennen eben kein Pardon. Und auch im Fall Prof. Pätzolds wurden politische Gründe geltend gemacht, die seine Entlassung begründeten.
Die Einpassung des DDR-Wissenschaftssystems in die Bundesrepublik erwies sich als institutionelle wie personelle Abwicklung. Unter anderen politischen Vorzeichen würde auch die hiesige Geschichtswissenschaft einen solchen Vorgang zweifelsohne als politische Säuberung bezeichnen.

Es ist den vorläufigen Siegern der Geschichte glücklicherweise nicht gelungen, Pätzold verstummen zu lassen. Im Gegenteil. Noch eifriger als zuvor tritt dieser seit der Wende publizistisch in Erscheinung. Zwar hat man an ihm demonstriert, dass »Sieger der Geschichte« kein »Pardon« kennen, auch wenn noch so sehr von Pluralismus und angeblicher Freiheit der Wissenschaft getönt wird. Er gehört zu jenen, denen es in der 1990 vergrößerten BRD gelungen ist, auch außerhalb des verwehrten Platzes im offiziellen Wissenschaftsbetrieb Gehör zu finden. Davon zeugen seine zahlreichen Publikationen, neben weiteren Titeln über die faschistische Judenverfolgung wie dem mit Erika Schwarz verfassten Band „Tagesordnung Judenmord. Die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942“ und „Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof. Franz Novak, der Transportoffizier Adolf Eichmanns« gehören dazu biografischen Arbeiten über Adolf Hitler, Rudolf Heß, Julius Streicher, Hans Frank, Alfred Jodl oder Arthur Seyss-Inquart, ebenso wie der von ihm gemeinsam mit anderen herausgegebenen Band »Biographien zur deutschen Geschichte« oder auch die Publikationen zur Geschichte der NSDAP. Mit Manfred Weißbecker gab er die bis heute einzige erschienene Monografie zur NSDAP heraus, welche die Partei in ihrer gesamten Geschichte von 1920- 1945 in den Blick nimmt.“


 

Audiomitschnitt Kurt Pätzold 23.05.2013:

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