Antikapitalistischer Block auf der 1.Mai-Demonstration
Treffpunkt 10.30 Uhr | Stühlinger Kirchplatz
beim Stand vom Linken Zentrum Freiburg ¡adelante!
Erinnern heißt Handeln!
Damals wie heute: Gemeinsam gegen Faschismus, Krieg und Reaktion!
Krieg in der Ukraine und Syrien, autoritäre Sparpolitik und die sich verschärfenden Klassenkämpfe in Südeuropa, der Wahlsieg Syrizas in Griechenland, der wegweisende Aufbruch in Rojava, eine immer autoritärer werdende Gesetzgebung in der Türkei und neuerdings auch in Spanien, die Festung Europa, rechte Massenmobilisierungen und Wahlerfolge in der BRD, staatliche Unterstützung für die faschistische Mörderbande des NSU, Waffenlieferungen an reaktionäre Regime in vom Westen erst destabilisierten Krisenregionen, die Durchsetzung von Freihandelsabkommen und immer aggressiver auftretende Imperialismen verdeutlichen: an relevanten Themen, mit denen man sich dieses Jahr anlässlich des 1. Mai auseinandersetzen könnte, mangelt es wahrlich nicht. Allzu offensichtlich befindet sich der Kapitalismus in der Krise, allzu offensichtlich produziert er bei seinen Versuchen der Krisenbewältigung immer neue, gewaltigere Krisen, allzu offensichtlich trägt die Krise zu einem Erstarken reaktionärer und faschistischer Kräfte in weiten Teilen Europas bei.
Die Geschichte lehrt uns: Erinnern heißt Handeln!
Dennoch stellen wir den Tag unserer Klasse dieses Jahr nicht in den direkten Zusammenhang mit diesen Entwicklungen, sondern unter das Zeichen des Erinnerns. Mit Erinnern meinen wir dabei weder ein moralgetränktes Ritual noch die Beschäftigung mit Geschichte im Sinne der bürgerlichen Wissenschaft: Erinnern ist für uns immer die Aneignung und Verteidigung unserer Geschichte. Erinnern heißt für uns immer auch kämpfen. Dies bedeutet nicht nur, dass uns unsere Geschichte antreibt, motiviert und uns Verpflichtung ist, sondern auch, dass wir als Linke um die Deutungshoheit unserer Geschichte kämpfen müssen. Und genau auf diesem Gebiet sehen wir gravierende Entwicklungen im Gange.
Dass sich 2015 die Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee, das Ende des Zweiten Weltkriegs, die Befreiung Europas vom Faschismus sowie eine ganze Reihe weiterer Ereignisse, die für das kollektive Gedächtnis der Linken wichtige Bezugspunkte bilden müssen, zum 70. Mal jähren, ist dabei für uns weniger entscheidend als die Massivität des gegenwärtigen allumfassenden geschichtspolitischen Angriffs von rechts. Denn diesem können sich bald keine Zeitzeugen mehr in den Weg stellen und seine Wirkungsmacht reicht bis in die Linke hinein. Wenn zum Beispiel für die Geschichte des Deutschen Faschismus auf der einen Seite Götz Aly bis weit in die alternative Szene zum Stichwortgeber wird oder Guido Knopp „uns Deutschen“ ein Geschichtsbild auf den Leib schneidert, das von ökonomischen Strukturen, Profiteuren und Verantwortung der Eliten, aber auch vom Widerstand der Arbeiterbewegung nichts wissen will, ist es höchste Zeit zu intervenieren.
Geschichte wird gemacht
„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“ – Karl Marx/ Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie (1846)
Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass die geistig-moralische Wende, die Helmut Kohl 1980 propagiert hatte, weitgehend abgeschlossen ist. Unter diesem Schlagwort sollte der Stärkung der Linken, die in Folge der Ereignisse um 1968 eingetreten war, ein konservativer geschichtspolitischer Rollback entgegengesetzt werden, und in diesem Sinn auch wieder ein nationaleres Geschichtsbild geformt werden. Zur Stärkung der außenpolitischen Rolle der BRD, um eine Partnerschaft mit dem Westen auf Augenhöhe zu erreichen, bedurfte es der Lösung der BRD aus ihrer „demütigen“ Rolle, die sie nach 1945 angenommen habe. Notwendig einher ging damit die Relativierung der Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des faschistischen Massenmordes.
Wie tiefgreifend und erfolgreich dieser geschichtspolitische Angriff war, ist heute überall mit Händen zu greifen. Etwa wenn grüne Politiker Kriege nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz führen wollen; wenn der neurechte „Verfassungsschützer“ Eckhard Jesse anlässlich des Jahrestags der nach Gurs deportierten Juden in der Freiburger Universität über den „weichen Extremismus“ der Linkspartei spricht; wenn wir uns die doppelte Unverschämtheit anhören müssen, dass das KZ Buchenwald „1945 in die Unfreiheit befreit“ wurde; wenn es normal geworden ist, das Nazi-Regime und die DDR als die „beiden deutschen Diktaturen“ zu bezeichnen.
Doch verwundern braucht uns diese Geschichtsverdrehung nicht. Der Fortbestand eines (militanten) Antikommunismus, die Kontinuität faschistischer Funktionäre in den Institutionen nach 1945, die gezielte Ausrichtung deutscher Geheimdienste gegen die Linke oder heutzutage die Verstrickungen deutscher Behörden in den NSU-Komplex: all das beweist, wo der Staat steht. Und damit geht logischerweise einher, dass er und mit ihm die Profiteure dieses Gesellschaftssystems ein starkes Interesse an einer bürgerlichen Deutungshoheit über die Geschichte haben müssen.
Unsere Geschichte aneignen!
Dass wir mit einer rechten Umdeutung der Geschichte, die sich oft hart an der Grenze zum Revisionismus befindet, in jüngster Vergangenheit noch stärker konfrontiert werden, hängt mit zwei Punkten zusammen: zum einen können sich die Opfer des Faschismus nicht mehr gegen ihre Vereinnahmung wehren. Je weniger Menschen ihre moralische und politische Autorität als antifaschistische Widerstandskämpfer in die Waagschale der geschichtlichen Auseinandersetzung werfen können, desto mehr sind wir gefordert, unsere Geschichte lebendig zu halten. Dies beinhaltet die Einnahme eines Klassenstandpunkts auch im Ringen um die Geschichtsbilder. Auf die ebenso bewegende wie wortgewaltige Unterstützung von Auschwitz-Überlebenden, die 1999 anlässlich der ersten offenen militärischen Beteiligung Deutschlands an einem Angriffskrieg nach 1945 klar stellten, dass man Jugoslawien nicht in ihrem Namen bombardieren kann, werden wir in naher Zukunft nicht mehr zählen können.
„Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Mißbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens. […] Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte und Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete. Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen, ist infam.“
(Esther Bejarano, Peter Gingold, Kurt Goldstein, Walter Bloch, Henny Dreifuß, Günter Hänsel, Werner Stertzenbach)
Der zweite Grund, warum eine rechte Umdeutung der Geschichte gerade jetzt energischer auftritt, ist die Offenbarung der Krise des Kapitalismus mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008. Je offensichtlicher sich das Gerede von „der Alternativlosigkeit des Kapitalismus“ und „dem Ende der Geschichte“ als falsch entpuppt, desto aggressiver wird versucht werden, Alternativen zu diskreditieren.
So, wie es ist, wird es nicht bleiben!
Was tun? Wie können wir uns gegen die Umdeutung unserer Geschichte wehren? Wir müssen uns wieder ein lebendiges Geschichtsbild aneignen, das uns Motivation und Verpflichtung, Antrieb und Selbstbewusstsein in den tagespolitischen Kämpfen gibt. Eine der wichtigsten Aufgaben dabei ist das Niederreißen des totalitarismustheoretischen Dogmas mit all seinen Auswirkungen – auf die Geschichtsschreibung von Faschismus, Krieg und Widerstand, aber auch auf die Dämonisierung der Arbeiterbewegung und ihrer Staaten. Wir müssen unsere Geschichte gegen Angriffe von rechts verteidigen. Und das tun wir am besten, wenn wir im Wissen um unsere Geschichte – all ihrer Verdienste und Errungenschaften, aber auch der Fehler und Niederlagen – voranschreiten und uns bewusst halten: So, wie es ist, wird es nicht bleiben! In diesem Sinn wollen wir auch dieses Jahr mit einem antikapitalistischen Block auf der traditionellen 1. Mai-Demonstration in Freiburg einen ersten Schritt tun, bei dem wir für eine Aneignung und Verteidigung der Geschichte der Linken, unserer Geschichte, eintreten.
„Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen was Faschismus bedeutet. Für alle künftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“ – Peter Gingold